Quality Magazine | Der Fette Dienstag
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Der Fette Dienstag

Als eine der wenigen amerikanischen Städte feiert New Orleans Karneval – und wie: Zum Mardi Gras, wie die Feierlichkeiten im Süden der USA heißen, steht New Orleans Kopf und vergisst die Probleme, mit denen die Stadt auch sechs Jahre nach dem Hurrikan „Katrina“ immer noch kämpft.

von Renzo Ruf | Foto: getty images

In der Bar herrscht Hochbetrieb. Das „Desire Bistro“ an der Ecke Bourbon Street und Bienville Avenue gehört zu den beliebtesten Gaststätten in der Altstadt von New Orleans. Hier bereiten sich Touristen auf ihrenSpaziergang durch die Bourbon Street vor, dieser lauten und häufig viel zu offenherzigen Amüsier-Gasse im French Quarter, in der sich Nachtclubs, Sexshops und Jazzlokale in historischen Gebäuden aneinanderreihen.

Im „Desire“ speisen aber auch Einheimische, weil Spezialitäten wie die frischen Austern oder das „Creole Jambalaya“ – ein scharf gewürzter Eintopf mit Reis, Hühnerfleisch, Krabben und Andouillen – schlicht umwerfend gut sind. „Schmeckt es?“, fragt der Kellner, der einen herrlich altmodischen Anzug trägt und trotz des Gewühls im historischen Speiseraum den Überblick nicht verliert. Im Januar und Februar allerdings, während der „tollen Tage“, wird es auch ihm gelegentlichfast zu viel, räumt er lachend ein.

New Orleans, gegründet im Jahr 1718, ist eine der wenigen amerikanischen Städte, in der Karneval gefeiert wird. Die Lustbarkeit beginnt am Dreikönigstag im Januar und endet am „Fat Tuesday“, dem „fetten Tag“ vor Aschermittwoch, und ist deshalb als „Mardi Gras“ weltweit bekannt. Fasching in New Orleans ist aber weit mehr als eine bunte Feier für Touristen, zu der fantasievoll geschmückte Festwagen paradieren, Blaskapellen aufspielen, Perlenschnüre durch die Luft segeln und Alkohol literweise getrunken wird, ausnahmsweise auch in aller Öffentlichkeit. Die Bewohner der Stadt am Mississippi nutzen den Karneval auch dazu, ihre reiche, höchst komplexe Geschichte und damit sich selber zu feiern. „Ist das nicht der Grund, warum wir Mardi Gras feiern?“, schreibt der Magazinjournalist Dan Baum in „Nine Lives“, seiner quasi-literarischen Liebeserklärung an New Orleans. „Wir stehen im Dienste allerMenschen und wollen in ihrem harten Leben einen Hauch Königtum und Erhabenheit verbreiten.“

Der Historiker John Barry führt den Beginn von Mardi Gras auf das 18. Jahrhundert zurück, als die Hafenstadt New Orleans, die sich damals noch unter französischer Herrschaft befand, prosperierte und Einwohner aus allen Herren Länder anzog: aus Europa, der Karibik und Afrika. Als zuerst die Spanier und später die Amerikaner in New Orleans die Zügel übernahmen, wurde der Karneval vorübergehend mit einem Bann belegt.

Erst 1857 belebte eine handvoll Bürger aus der Oberschicht den Mardi Gras erneut. Sie gründeten eine Organisation mit dem Namen Comus – ein Begriff, mit dem in der griechischen Mythologie ein festlicher, fröhlicher Umzug bezeichnet wurde. Und sie regten die Gründung von Karnevalsvereinen an, den so genannten „Krewe“. Diese Gruppen, die heute fantasievolle Namen wie „Rex“, „Bacchus“ oder „Zulu Social Aid & Pleasure Club“ tragen, sind verantwortlich für die Austragung der Festumzüge, bei denen sich Hunderttausende von Menschen vergnügen. Sie organisieren aber auch Bälle, die bis vor wenigen Jahren nur eingeschriebenen Mitgliedern zugänglich waren. Wer eine exklusive Einladung erhielt, und das waren lange Jahre fast ausschließlich Weiße, der galt in der Stadt als einflussreich. „Mardi Gras dirigiert NewOrleans“, zitiert John Barry in seinem Buch „Rising Tide“ eine Gesellschaftsdame, und „trennt seine Bevölkerung“. In diesem Kastensystem suchten die von der Oberschicht Übergangenen nach einem Ausweg…

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