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Meilen & mehr

3000 Mitglieder – und jeder davon hat grandiose Reisen hinter sich. Im New Yorker „Explorers Club“ treffen sich all jene, für die Entfernungen kein Thema sind.

Sonne und Sand so weit das Auge reicht: die namibische Wüste ist nichts für schwache Nerven! Foto: Hervè de Kervasdouè

Sonne und Sand so weit das Auge reicht: die namibische Wüste ist nichts für schwache Nerven! Foto: Hervè de Kervasdouè

Es war ein großer Schritt für die Menschheit, aber ein fast alltäglicher für ein Mitglied des Explorers Club. Als Neil Armstrong am 20. Juli 1969 seinen Fuß in den Staub der Mondoberfläche setzte, war er zwar der erste Mensch dort oben, aber letztlich war seine Expedition nur das, was man von seinesgleichen erwartet: Pioniergeist, der in ein großes, in diesem Fall ein sehr großes Abenteuer mündet. Normalerweise hätte Neil Armstrong die Fahne des Explorers Club an seinem Ziel gehisst, als Zeichen für all jene, die später an dieser Stelle stehen. Doch der Astronaut hatte eine höhere Mission: In diesem Fall musste es die US-Flagge sein.

Eine historische "Weltkartenlampe" in der Bibliothek im Explorers Club in New York

Eine historische „Weltkartenlampe“ in der Bibliothek im Explorers Club in New York; Foto: Explorers Club New York

Wenn sich im kommenden März die Club-Mitglieder zum alljährlichen „black tie“-Galadinner im eleganten New Yorker Hotel Waldorf Astoria treffen, wird das Thema des Abends „How far is far. Remote explorations“ lauten. „Weit weg“ – das ist Musik in den Ohren echter Entdecker, und zum Glück gibt es noch immer genügend Orte auf der Erde und darüber hinaus, die kaum oder gar nicht erforscht wurden. Sie sind das Ziel der „explorer“, denn Reisen um des Reisens Willen gilt unter ihresgleichen als Energieverschwendung „Ein Mitglied ist jemand, der nachhaltiges Interesse an bestimmten Bereichen der Forschung bewiesen und der in beachtlichem Maße zur Erforschung dieser Bereiche beigetragen hat“, heißt es im Aufnahme-Antrag. Doch man täusche sich nicht: Der 1904 gegründete Explorers Club ist alles andere als ein verknöcherter Gelehrten-Verein. Er residiert im imposanten, fünfstöckigen „Lowell Thomas Building“ an New Yorks feiner Upper East Side. Wer das 1910 errichtete Gebäude je betreten hat, wird es nicht so schnell vergessen: Die hohen, mit Eichenholz getäfelten Räume sind mit exquisiten Antiquitäten möbliert, über dem Kamin in der Members-Lounge hängen mächtige Elefantenstoßzähne, im Foyer stehen ein großer Globus, den der norwegische Ethnologe Thor Heyerdahl zur Veranschaulichung seiner Expeditionen von Peru bis Polynesien benutzte, und eine Eispickel-Skulptur, signiert von Sir Edmund Hillary, der zusammen mit seinem Sherpa Tenzing Norgay als erster Mensch den Mount Everest bezwang. Vor dem „Clark Room“, der für Bankette und Lesungen benutzt wird, steht ein ausgestopfter junger Eisbär und an den Wänden des „Trophäen Raums“ auf der sechsten Etage hängen präparierte Tier-Köpfe und Felle, die an die Ursprünge des Clubs vor über 100 Jahren erinnern, einer Zeit also, als es noch nicht als verwerflich galt, exotische Tiere zu töten und zu Studienzwecken mit nach Hause zu nehmen. Es heißt, allein die Sammlung dieser seltenen und aus aller Welt zusammengetragenen Funde sei 30 Millionen Dollar Wert. Es heißt auch, im Club würden gelegentlich grandiose Partys gefeiert.

"Wir können der Versuchung das Unbekannte zu entziffern, einfach nicht widerstehen. Ganz gleich, wie weit wir dafür gehen müssen."

„Wir können der Versuchung das Unbekannte zu entziffern, einfach nicht widerstehen. Ganz gleich, wie weit wir dafür gehen müssen.“ Foto: Explorers Club New York

Auch das kommt vor“, bestätigt Club-Präsidentin Lorie Karnath, ohne sich jedoch auch nur das kleinste Detail entlocken zu lassen. Lieber erzählt sie von ihren Expeditionen. Die Naturwissenschaftlerin und Publizistin war schon überall – am Nord- und Südpol, im Dschungel von Borneo, an der Chinesisch-Mongolischen Grenze, an der Seidenstraße, in der Wüste. Sie hat frittierte Skorpione gegessen und mit KGB-Agenten Wodka getrunken. Im vergangenen Sommer hat sie in Kanada nach Dinosaurier-Knochen gesucht, im November wird sie Burmas wenig bekannte Rakhine-Küste und den Mergui- Archipel bereisen und dort die einheimische Dorf- Architektur erforschen. Sie wird weite Strecken im Boot zurücklegen und die Reise wird unkomfortabel sein. Dabei wirkt sie wie eine Frau, die nicht ohne ihren Fön leben kann: Zierlich, weiblich, gepflegt, eher ein Model-Typ als eine wilde Abenteurerin. „Ich bin keine Abenteurerin“ korrigiert sie sofort, „Abenteurer sind schlecht vorbereitete Expediteure“. Sie hat sehr präzise Vorstellungen von dem, was sie tut, und was jedes Clubmitglied machen sollte: erforschen, entdecken, teilen, schützen, erhalten. Der Explorer Club hat heute rund 3000 Mitglieder, darunter sind Physiker, Ozeanographen, Geologen, Flieger, Taucher, Bergsteiger und Höhlenforscher. Viele davon sind bis an ihre Grenzen gegangen. Der USPilot Joseph Kittinger riskierte sein Leben, als er aus 30 Kilometer Höhe aus einem Heliumballon sprang und gute viereinhalb Minuten im freien Fall in die Tiefe stürzte, bevor sich sein Fallschirm öffnete. Dass Adolphus Greeley, Gründer und erster Präsident des Explorer Club, seine Polarexpedition überlebte, grenzt an ein Wunder. 18 seiner 25 Weggefährten starben, weil die geplante Versorgung ausblieb. Die Überlebenden wurden zwei Jahre später von einem Walfangschiff aufgegriffen, dessen Schiffsglocke bis heute die Vorträge im Club einläutet. Von Theodore Roosevelt, Club-Mitglied und US-Präsident, ist die Aussage bekannt: „Es ist besser, mächtige Dinge zu wagen, auch wenn man dabei scheitert, als in ewiger Dämmerung zu verweilen, die weder Sieg noch Niederlage kennt.“

Die Legende sagt, dass auf diesem Globus die Kon-Tiki-Route - auf welcher der Norweger Thor Heyerdahl 1947 über den Pazifik segelte - geplant wurde.

Die Legende sagt, dass auf diesem Globus die Kon-Tiki-Route – auf welcher der Norweger Thor Heyerdahl 1947 über den Pazifik segelte – geplant wurde; Foto: Explorers Club New York

Man kann über ihn denken, wie man will, aber er hat nach diesem Motto gelebt: Roosevelt starb an einem Virus, den er sich bei seiner letzten Expedition im Amazonasbecken eingefangen hatte. Die Meßlatte, um Club-Mitglied zu werden, liegt hoch. Aufgenommen wird nur, wer fundierte Studien und Recherchen in wissenschaftlichen Bereichen vorweisen kann, zudem braucht jeder Antragsteller zwei Mitglieder, die die Aufnahme befürworten. Im weitesten Sinne gilt es, dem Beispiel von Sir Edmund Hillary zu folgen: Der Mount Everest-Besteiger, der im Januar 88-jährig verstarb, ist das Vorbild aller Club-Mitglieder und wurde als bislang einziges mit einem „Honorary Chair“ geehrt. „Er steht für jene Geisteshaltung, die die Welt weiter forschen lässt“, sagt Lorie Karnath, „der Explorers Club wird sein Vermächtnis ehren und diesen Geist am Leben erhalten.“ Sir Hillary, der lieber Ed genannt wurde, ist immer wieder in den Himalaya gereist. Er unterstützte die Nepalesen beim Bau von Schulen, Krankenhäusern, Brücken und Bewässerungsanlagen, und setzte sich für bessere Arbeitsbedingungen für die Sherpas ein. 1985 begleitete er Neil Armstrong in einem kleinen, zweimotorigen Flugzeug zum Nordpol. Er wurde damit zum ersten Menschen, der beide Pole und den Gipfel des Everests erreicht hatte. In der Flaggenhalle des Clubs hängen die rot-weiß-blauen Clubfahnen, die Expeditionsleiter auf besonders wichtige Entdeckungsreisen mitbekommen, um sie vor Ort zu entrollen und sie dann wieder mit nach Hause zu nehmen. Charles Lindbergh ließ seine über dem Flughafen Le Bourget flattern, nachdem ihm 1927 der erste Nonstop- Flug von New York nach Paris an Bord eines einmotorigen, einsitzigen Fluggeräts gelang. Die des Alpinisten Ardito Desio flatterte auf dem Gipfel des K2.

Exotische Exponate im Museum des Explorers Club

Exotische Exponate im Museum des Explorers Club; Foto: Explorers Club New York

Jacques Picard hat die Flagge auf dem tiefsten Punkt der Erde unter Wasser verankert. Von den über 200 Fahnen, die Clubmitglieder an Orten hissten, die vorher Terra incognita waren, hatte Lorie Karnath drei im Gepäck: Eine davon nahm sie mit, als sie den Heimzug einer Gruppe von Weißstörchen von Norddeutschland nach Südafrika begleitete.

Foto: L.E. MacDonald

Foto: L.E. MacDonald

Manche Expeditionen sind so schwierig, so heikel und manchmal auch so gefährlich, dass selbst eine mutige Frau wie Lorie sich innerlich schwört, sich nie wieder in eine ähnlich missliche Lage hinein zu manövrieren, wenn sie nur heil aus der aktuellen herauskommt. Doch dann vergeht etwas Zeit, Wunden verheilen, Krankheiten werden auskuriert, und alles wirkt weniger dramatisch. Und schon macht sie sich wieder auf den Weg, mit ungewissem Ziel, zu unbekannten Orten, unter unbequemen Bedingungen. „Ich glaube es ist unser angeborener Instinkt zu erforschen, gepaart mit einer gewissen Neugierde und der Lust, etwas lernen zu können, der uns dazu führt, uns in Abenteuer zu begeben, deren Ausgang wir nicht immer absehen können“, sagt Lorie Karnath, „Wir können der Versuchung das Unbekannte zu entziffern, einfach nicht widerstehen, ganz gleich, wie weit wir dafür gehen müssen.“

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