Quality Magazine | Noch einmal einsam sein
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Noch einmal einsam sein

Vor nichts haben wir Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts mehr Angst, als allein zu sein. Außer die schönsten Orte jenseits der überbevölkerten Welt leisten uns dabei Gesellschaft. Doch diese sind rar geworden.

Jeder ist schon einmal auf so einer Insel gewesen und hat die letzte Einsamkeit genossen. Allerdings die meisten nicht wirklich allein. Tom Hanks war mit uns da, und wir haben mit ihm ganz laut “Iiiiiiist daaaa jemaaaand” gerufen – damals, als er in “Cast away” “verschollen” gegangen ist. Und was waren wir stolz auf uns, als wir mit ihm gemeinsam Feuer gemacht haben, so ganz ohne Grillanzünder und Feuerzeug.

Oder diese wesentlich abgefahrenere Zeit mit Leonardo DiCaprio, dem wir auf den geheimnisvollen Strand nach Thailand folgten. Leider war “The Beach” nicht ganz so verwaist wie gedacht, sondern in der Hand von Drogenbanden, die uns bald bedrohen sollten – doch die ersten Momente in diesem Paradies genossen wir gemeinsam und wären ihm dorthin auch gern real gefolgt. Und war es uns auch nicht egal, dass auf James Bond diverse Bösewichter wie Dr. No & Co. hinter dem nächsten Palmenhügel warteten, solange man noch ein wenig mit Ursula Andress im Bikini über den einsamen Strand schlendern konnte?

Jede Generation hat ihre Sehnsuchtsorte, an die sie im Idealfall fliehen kann. Auch wenn das nur für 90 Minuten im Film oder zwischen zwei Buchdeckeln möglich ist. Dies sind die letzten Utopien, an die wir noch glauben wollen, gerade weil sie so unpolitisch sind, staaten-, zivilisations- und sogar gesellschaftslose Orte. Eben nur für uns ganz allein gemacht. Keine Gesetze gibt es, keine Verpflichtungen, keine Zwänge, außer jene der Natur. Auch wenn die meisten Besucher in Film und Literatur, von Robinson Crusoe bis Chuck Noland (Tom Hanks in “Verschollen”), nicht gerade freiwillig dort angekommen sind. Und sie auch nicht ohne seltsame Begegnungen bleiben – wie ein gewisser Gulliver auf seinen Reisen erfahren muss. Gut, wenn man wenigstens nicht ganz allein mit der Wildnis umgehen muss. Sondern mit einem ebenso hübschen jungen Menschen, wie man selbst einer ist, auf die blaue Lagune geschwemmt wurde – dem auch noch von der starken Brandung die Klamotten vom Leib gerissen worden sind. Brooke Shields und eine ganze Generation, die 1980 für sie oder das blondgelockte Jüngelchen an ihrer Seite schwärmte, weiß, wovon die Rede ist.

Lange Zeit galten einsame Inseln als das Nonplusultra an Luxus. Doch die große Sehnsucht nach dem eigenen verlassenen Eiland hat längst auch den Mittelstand erreicht. Schon für 60 000 Euro kann man heute ein von Meer umgebenes Fleckchen Erde erwerben, der Inselmietmarkt boomt ohnehin. Sogenannte Qualitätsinseln, die groß genug sind, um den Ruch der Wildnis und den Charakter der wahren eigenen Welt zu erfüllen, gibt es weltweit nur circa 12 000 Mal. Und es werden auch nicht mehr – denn dass künstlich aufgeschüttete Weltteile eher das Gegenteil von Exklusivität bedeuten, haben Dubai und Konsorten hinlänglich bewiesen.

Wenn also so ein Kleinod zum Verkauf steht, benimmt sich selbst der schickste Multimillionär wie Oma Kasupke am ersten Tag des Winterschlussverkaufs. Als etwa Athina Onassis, die seit vielen Jahren mit dem Beinamen “jüngste Milliardärin der Welt” leben muss, das ihr vermachte 0,8 Quadratkilometer große Inselchen Skorpios im Ionischen Meer anbot, gerieten russische Oligarchen, arabische Scheichs, texanische Ölmilliardäre und sogar Bill Gates gleichermaßen in Bieterlaune. Es könnte sein, dass der Volkszorn der Griechen, der im letzten Sommer ohnehin leicht in Wallung zu bringen war, sie dazu brachte, einem Europäer den Zuschlag zu geben, der auch bei Opapa Aritoteles – der dort obendrein begraben liegt – gern willkommen gewesen wäre: Modedesigner Giorgio Armani ist nun also reif für diese Insel. Über den Kaufpreis wird freilich vornehm geschwiegen.

Und doch unterliegt gerade das Inselleben allzu oft dem Ruch der nouveaux riches, denen es nicht um den eigentlichen Moment geht, sondern um den Status, eine eigene Welt für sich und vor allem unter sich zu haben. Dabei ist der Moment des Rückzugs doch in erster Linie ein kultureller, um nicht zu sagen kultivierter. Immer mehr Menschen suchen sich ihren Zufluchtsort nicht zuletzt dort, wo man ihn am letzten wähnt. Mitten im Rummel in Ballungszentren, wie etwa Venedig. Mit einer großen Portion Fantasie wähnt man sich in den legendären Suiten näher an der vollkommenen Einsamkeit als an manchem noch so entlegenen Ort, und selbst der Touristenlärm unten auf der Plaza rauscht wie die schönste Meeresbrandung. So viel Vorstellungsvermögen ist viel wert, kaufen kann man es allerdings nicht.

Und so geht der Rückzug stetig in die Offensive. Immer mehr Orte, die zwar definitiv verweist und einsam waren, aber nicht gerade erstrebenswert, werden nun als Luxusfluchten urbar gemacht. Sogar die Wüste. In Utah, nahe an der Grenze zu Arizona, hat man 2009 in einem besonders abgeschiedenen Tal ein Hotel eröffnet. Dort gilt die Einfachheit als der größte Luxus. Architektonisch ähnelt der Gebäudekomplex eher einer Beduinenstadt denn einem Luxusresort, kein Schnörkel stört den Entspannungsmoment. Einen Platz auf dem Mars könnte man sich auch nicht entfernter und entrückter vorstellen.

Ganz anders stellt sich der internationale Mandarin-Oriental-Hotelkonzern der Nachfrage. Das Mandarin Oriental Dhara Dhevi in Chiang Mai liegt am Fuß der Berge im Norden Thailands und erstreckt sich über eine 24 Hektar große Landschaft. Es ist das einzige Luxushotel und Resort in Chiang Mai, in dem man sich umgeben von Reisfeldern und dem reichen Kulturerbe des Lanna Königreichs wie in einer eigenen fremden Welt wiederfinden kann, als hätte man diese gerade selbst auf den Spuren Alexander von Humboldts entdeckt. Gleich einer eigenen kleine Stadt ist das Resort darauf ausgerichtet, die Kultur Nordthailands unter anderem mittels ausgesuchter Kunstsammlungen und kultureller Präsentationen so darzustellen, als hätte es die Armada an Billigriesen und All-Inclusive- Touren niemals gegeben.

Ohnehin scheint sich hinter dem Trend zur Abgeschiedenheit eine Gegenbewegung zu Gobalisierung und allgemeiner Verfügbarkeit fast aller Orte und Kontinente zu verbergen. Je zielstrebiger sich die Weltbevölkerung auf die Sieben Milliarden-Grenze und je emsiger die Working Class sich als Weltreisende betätigt, umso enger scheint es für manche zu werden. Vielleicht bleibt ja bald wirklich nurmehr noch die Weltraumreise, die wahre Abgeschiedenheit garantiert. Schon jetzt nimmt die Zahl der Ausflüge ins All privater Millionäre stetig zu. Dort können sie sich für Unsummen einige Momente der Isoliertheit und der Schwerelosigleit gönnen und die blaue Kugel endlich einmal von oben anschauen. Wenn also nicht demnächst das versunkene Atlantis entdeckt wird, geraten die Luxus versprechenden abgeschiedenen Orte immer mehr zur Seltenheit. Also genießen wir die Momente, in denen auf den verzweifelten “Ist daaaaa jemaaaaaaaand”-Schrei möglichst kein Mensch antwortet. Aber spätestens die Urform des Sehnsuchtsorts, nämlich jener, aus dem wir alle als Adam und Eva einmal ausziehen mussten, lässt uns erkennen: Der begehrenswerteste Ort der Welt ist das Paradies, aus dem man vertrieben worden ist.

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