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Schloss mit Geist

Das Haus „Kranzbach“ im bayerischen Krün hat eine typisch deutsche Geschichte, nämlich eine wechselvolle. Heute fungiert es als Wellnesshotel. Gestaltet hat es die Interiordesignerin Ilse Crawford – es ist ihr Meisterwerk

von Asia Kornacki

Unmistakeably German“, dieser englischsprachige Claim ist an sich schon ein guter Witz, zumal er von einem französischen Autohersteller verwendet wird. Und zwar in einer Schreibweise, die eigentlich nicht mehr gebräuchlich ist, unmistakably wird heute nur noch selten mit einem -e mittendrin geschrieben. Unverwechselbar deutsch also soll sein, was man da im anspielungsreichen aktuellen Spot für den Citroën C5 zu den Klängen von Wagners „Walkürenritt“ so sieht, etwa am Schluss das Brandenburger Tor und das Berliner Olympiastadion. Diese skurrile Werbetour durch die deutsche (Bau-) Geschichte beginnt jedoch vor einem Gebäude, das gar nicht weniger typisch deutsch sein könnte: vorm Hotel Kranzbach im bayrischen Krün, einem der wenigen Gebäude Deutschlands, die im typisch britischen „Arts and Crafts“-Stil erbaut wurden. Irgendwie passt es dann also doch perfekt in die babylonische Sprach- und Kulturverwirrung dieses stylischkrachlederne Citroën-Werbespots, der immerhin unmissverständlich den Stolz deutscher Autobauer auf das alte Markenzeichen „Made in Germany“ persifliert.

Tatsächlich ist auch die Geschichte des 1918 fertiggestellten Hauses auf der „Kranzbachwiese“ selbst bereits eine widersprüchliche und wechselhafte, insofern ist sie typisch deutsch. Doch am Anfang und am (vorläufigen) Ende stehen zwei britsche Frauen: die einstige Bauherrin Mary Portman und die Interiordesignerin Ilse Crawford, die das Gebäude im Jahr 2007 zum Wellnesshotel umgestaltete. Mary Portman war eine britische Aristokratin, die 1877 als zehntes Kind in eine der reichsten Familien Englands hineingeboren wurde. Sie war schön, begabt und eigenwillig. Etwas eigenwillig war zum Beispiel auch die Idee, in den deutschen Alpen ein „englisches Schloss“ errichten zu wollen. Im Jahr 1913 war Portman in die Gegend nahe Garmisch-Partenkirchen gekommen, hatte den Kaufvertrag für das Grundstück unterzeichnet und die englischen Architekten Detmar Blow und Fernand Billerey mit der Planung beauftragt. Die Bauarbeiten wurden jedoch bald überschattet und verzögert durch den Beginn des Ersten Weltkriegs – und Mary Portman sollte das Haus nie zu Gesicht bekommen. Zunächst stand es leer, wurde kurzzeitig genutzt als Herberge für junge Künstler und als Filmkulisse, etwa für Wilhelm Dieterles Verfilmung des Ganghofer-Romans „Das Schweigen im Walde“ im Jahr 1929. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Kranzbach dann von den Nationalsozialisten zum Unterbringungsort für die sogenannte „Kinderlandverschickung“ umfunktioniert, unmittelbar nach Ende des Krieges diente es als ein Erholungshotel für Offiziere der US-Armee, später jahrzehntelang als Ferienbetrieb der evangelischen Kirche – in ihrer Wechselhaftigkeit eben eine typisch deutsche Geschichte. Schließlich kaufte eine österreichische Hotelierfamilie das Haus im Jahr 2003, um daraus eben ein Wellness-Hotel zu machen.

Auftritt Ilse Crawford. Die Britin ist nicht nur in ihrer Heimat so etwas wie eine Instanz in Sachen stilvollem Einrichten: Die studierte Historikerin hat die britische Ausgabe von ELLE Decoration gegründet und prägte als Chefredakteurin neun Jahre lang die Wohnästhetik der Briten entscheidend mit. Danach ging sie nach New York zu Donna Karan, wo sie für die Entwicklung und Markteinführung der „Home“-Linie mitverantwortlich war. Schließlich kehrte sie in ihre Heimat zurück und gründete im Jahr 2002 ihr eigenes Büro unter den Namen Studioilse, das sich direkt über einem Loft befindet, in dem sie mit ihrem Ehemann lebt, dem Industriedesigner Oscar Peña Angarita. Geradezu nebenher veröffentlicht Crawford erfolgreiche Designbücher und unterrichtet an der renommierten Design Academy Eindhoven.

Vor der Neugestaltung der Innenräume des Kranzbach stellte sich für Crawford angesichts der Architektur und Historie des Baus die Frage: Wie sollte damit umgegangen werden? Indem das Innere das Äußere aufnähme? Die Historie selbst historisiere, kommentiere, zumindest gestalterisch irgendwie berücksichtige? Eine Hommage auf Mary Portman versuchte oder das „Arts and Crafts Movement“? Oder ist die Existenz dieses Gebäudes in dieser Umgebung nicht selbst schon so leicht skurril, dass eine ästhetische Auseinandersetzung die Skurrilität nur steigern würde?

Ilse Crawford ging einen gänzlich anderen Weg, ihren eigenen: Ihre Idee von Gestaltung ist, Emotionen beim Betrachter zu wecken und sich um etwaige Epochengenauigkeit zunächst einmal nicht zu kümmern. Crawford geht es um die Sinnlichkeit unserer wohnlichen Umgebung, sie glaubt an die „Seele“ von Räumen und Häusern, sie sagt: „Ich denke an Gebäude wie an Menschen.“ Auch wenn sie sich ausführlich mit der Geschichte des Gebäudes auseinandersetzte und aus dieser schöpfte, ging es der Designerin nicht darum, das Haus in irgendeinen Originalzustand zurückzuversetzen – den es beim „Kranzbach“ eh nie wirklich gegeben hatte.

Stattdessen wollte die 47-jährige Crawford eine neue Geschichte erzählen; sie wollte Wärme und ein neues Gefühl von Geborgenheit in die Räumlichkeiten bringen: „Europa befand sich in einer Zeit des Zerfalls, als das Kranzbach gebaut wurde“, entsprechend „verwundet“ war also aus Crawfords Sicht die Seele des Hauses. Es bedurfte der Heilung. Ein wichtiger Aspekt hierfür war der Einsatz von Farbe. „Die Farben mussten sehr intensiv sein, aber in gewisser Weise auch verstörend sein“, sagt Crawford. Nötig gewesen sei, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Geschichte und der Gegenwart zu schaffen. Auch musste eine Brücke geschlagen werden zwischen Tradition und
Innovation, zwischen Reduktion und cosyness.

Einen Raum müsse man riechen, fühlen und hören können, sagt Ilse Crawford. Das schafft sie vor allem durch den Einsatz von Materialien, Texturen, aber auch durch die Unterschiede zwischen Symmetrie und Asymmetrie, durch das Wechselspiel zwischen Kontrasten. „Ich glaube fest daran, dass Materialien eine versteckte Message besitzen“, sagt Crawford, „und die schafft einen kraftvollen Link zu unseren Emotionen, zu unserer Psyche – und formt somit die Verbindung zu unserem täglichen Leben.“ Das Kranzbach soll im ursprünglichen Sinne ein Zuhause sein, und insofern war es wichtig, insbesondere die Gemeinschaftsräume so zu gestalten, dass sie von den Gästen nicht als bloße Durchgänge zu ihren Zimmern empfunden würden. Entsprechend wurden sie funktional belebt, für alle Tageszeiten: Der „Yellow Room“ ist ein Ort für den morgendlichen Tee, der „Games Room“ für Spielrunden am Nachmittag, der „Peacock Room“ für nächtliche Gesprächsrunden gedacht. Das Konzept setzt sich in den drei Stockwerken fort, wo sich die Gästezimmer befinden. Jedes hat seinen eigenen Charakter. Hohe Decken, großflächig bedruckte Tapeten und verspiegelte Kopfenden der Betten kennzeichnen die Zimmer im ersten Stockwerk. Auf der zweiten Etage bekommt man am ehesten die Idee eines englischen Schlosses, man spaziert auf Tartan-Wollteppichen spazieren und lickt auf eine heimelige Deckenvertäfelung. Das oberste Stockwerk vermittelt das Gefühl eines Dachbodens und ist dementsprechend ganz einfach gehalten. Ilse Crawford hat Erfahrung mit der gestalterischen Umwidmung cross-kultureller Räumlichkeiten.

Einer ihrer Großprojekte war das Kettner’s in London, eine 1867 gegründete französische Restaurantlegende, die in späteren Jahren zur Pizzeria-Kette heruntergekommen war. Als das Kettner’s wieder francais werden sollte, setzte sich Ilse Crawford zunächst einmal, mit der Geschichte des Hauses auseinander und schickte anschließend ihre Mitarbeiter nach Frankreich auf die Suche nach passenden Stoffen´für Samtbezüge und Vorhänge. Und als sie beauftragt wurde, in England ein Hotel umzugestalten, entstand daraus gleich ein Konzept für eine ganze Kette von „Coaching Inns“. Insgesamt sollen es sieben werden, die ersten zwei sind bereits fertiggestellt und mit Crawfords „Emotional Design“ ausgestattet.

Das Inn als typisch britische Variante einer Pension hat für Crawford eine ganz besondere Bedeutung: „Ich liebe die Idee eine Inns – es ist warm, einladend, erschwinglich und mit gutem, hausgemachtem Essen verbunden.“ Nicht nur für Reisende ist ein Inn gedacht, die dort eine Unterkunft für die Nacht finden, ein Inn ist zugleich ein Gasthaus für alle, seine Türen stehen auch den Nachbarn offen, die gern mal zum Abendessen vorbeischauen. „The Olde Bell Inn“ ist das erste der beiden bereits eröffneten Crawford-Ins, es liegt eine knape halbe Stunde Autofahrt von London entfernt. Bei dem Neukonzept geht es hauptsächlich um die Verwendung von Materialien, Möbeln und Objekten, die aus der Region stammen, sagt Crawford, frei dem Motto: „local chairs, local cheese“. So verwendete sie zur Bestuhlung der Räume neben einigen originalen Klassikern hauptsächlich Sitzmöbel des englischen Designers Matthew Hilton, ähnliches gilt auch für „The Crown Inn“, das zweite Haus. Die Atmosphäre ist familiär, die Speisen auf der Karte sind englische Hausmannskost: Crawford hat die alte Idee des Inns im besten Sinne modernisiert.

Häuslich und gemütlich ist es heute auch im Kranzbach. Das hat die Engländerin mit ihrer Devise „modern and emotional living“ geschafft. Das Design ist nicht aufdringlich, es schafft so etwas wie einen gefühligen Rahmen für den eigentlichen, aber entsprechenden Zweck des Hauses – Wellness. Das Kranzbach ist also weder „unmistakably German“ noch „unmistakably English“. Sondern schlicht: „unmistakably Crawford“.

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