Quality Magazine | Häppchen vom Herzen
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Häppchen vom Herzen

Shanghai Airport ist in Sicht, es beschleicht mich ein Gefühl gemischt aus Neugier und aufgeregter Vorfreude. Lange ist es her, seit ich hier gelandet bin. Erstmalig in 1985, vor fast 30 Jahren. So fühle ich mich denn auch mehr auf einer Zeit– als auf einer geografischen Reise. Die Landebahn liegt direkt vor mir und es spult sich ein abenteuerlicher Film vor meinem inneren Auge ab.

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Miniairport, mit ländlichem Appeal: zu Fuß laufen wir bis zu einem kleinen Gebäude mit einer außenliegenden Baracke. Busshutle oder gar Terminals mit direktem Zugang vom Flugzeug waren damals undenkbar. Auf Holztischen wurden die Gepäckstücke ausgebreitet und ich erinnere mich lebhaft daran, dass ich dachte: Oh bitte, lass‘ meinen Rucksack dabei sein! Dieser Flug hatte von Beginn an kein gutes Karma: die Klimaanlage tropfte auf meinen Kopf, der Anschnallgurt ließ sich nicht schließen und ein unerwarteter Zwischenstop in Kunming zwang mich, in einem unklimatisierten Raum schwitzend auf die ungewisse Fortsetzung der Flugreise zu warten. Andere Europäer waren nicht an Bord und nach der Ankunft in Shanghai war mein Gepäck nicht auffindbar. Ein Alptraum! Als geübte Backpackerin dieser Jahre war mir bewusst, dass eine sportliche und für chinesische Verhältnisse große Europäerin, kaum etwas zum Anziehen finden würde, geschweige denn Make-up oder anderes Equipment. Die Maschine der Lufthansa setzt auf und ich bin auf einem großen modernen Airport. Links und rechts stehen alle fünfundzwanzig Meter chinesische Männer in Uniformen direkt nebender Rollbahn zu einem parademäßig zu einem Spalier aufgereiht.

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Das irritiert mich im ersten Moment sehr und ich denke: „Oh Gott, wie gefährlich und wie ungesund!“ Im zweiten Augenblick jedoch registriere ich, dass es sich um lebensgroße Puppen handelt, deren Funktion ich nicht ergründen konnte. Nichts erinnert an das Shanghai aus den 1980er Jahren. Ich warte darauf, aus dem Flughafengebäude zu treten, um den ersten Geruch der Stadt einzuatmen. Das Geruchsgedächtnis lässt sich nicht täuschen. Doch die warme, fast stehende Luft gibt die Erinnerung nicht frei. Ich bin in einer modernen Megacity, im chinesischen Metropolis, die Straßen laufen über- und untereinander, nahezu amerikanische Verhältnisse und wir nähern uns dem altbekannten Zentrum. Was denken Sie, wieviel Fahrräder ich gesehen habe? Vielleicht fünf Stück, aber nicht einen Radfahrer. Vor zehn Jahren besang Katie Melua nine million bicycles in Beijing, was genauso auf Shanghai zutraf. Jetzt ist da eine Stadt voller Autos und mit vergleichsweise wenig Fußgängern auf den Straßen. Wo ist das dichte Gedränge am Ufer des Huangpu, wo die Straßen voll wimmelnder Fahrräder, das dichte Gedränge der Menschen? Diejenigen, die es sich leisten können, fahren heute Auto und nutzen diese ausgiebig, auch für die kleinsten Distanzen. Das Gedränge auf den Bürgersteigen hat deutlich abgenommen und entspricht inzwischen fast europäischem Standard. Wo sind sie hin, die Menschen dieser Millionenstadt? Man hält sich in den Gebäuden auf, ob beruflich oder privat. In der Freizeit am liebsten in Shoppingmalls oder Luxusstores, sofern man über die Mittel verfügt. Es gibt fünf Louis Vuitton Stores in Shanghai, fast jede Fashionmarke ist mehrfach vertreten. Kein Problem eine neue Garderobe in Western Size zu bekommen! 1985 gab es nur eine Chance, direkt zum besten Hotel der Stadt zu fahren. Die Wahl fiel mir nicht schwer, denn es gab nur drei Hotels mit internationalem Standard. Das Beste war unumstritten das sagenumwobene Peacehotel, was bereits in den 1920er Jahren Weltruhm erlangte, da Shanghai das Zentrum eines wahrhaft internationalen Jetsets war. Ich bitte meinen Fahrer, langsam zu fahren, auch wenn dies bei manchem chinesischen Autofahrer auf Ungnade stößt. Da ist es wieder, das Shanghai mit den wunderschönen kolonialen Bauten und wie ein Platzhirsch thront das Peacehotel mittendrin. Komplett renoviert, nach mehrfacher Änderung der Eigentumsverhältnisse hat man es für meinen Geschmack nahezu totrenoviert, zumal touristische Hundertschaften sich durch die einst ehrwürdigen Hallen schieben. Dennoch ist es nach wir vor ein brillantes Beispiel für Innendekoration im Jugendstil. Die skurrile Band, die ich vor dreißig Jahren in der Bar vorfand, spielt noch immer, noch skurriler und durchaus betagter.

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