Quality Magazine | Paris Underground
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Paris Underground

Man sitzt in einem Café in Paris, lässt das schillernde Leben dieser schönsten aller Weltstädte an sich vorüberziehen und dann passiert das: von unsichtbarer Hand wird plötzlich ein Gullydeckel in der Strasse verschoben und eine Gestalt im Overall und mit Stirnlampe entsteigt dem Untergrund und schlendert davon. Vermutlich hat der überraschte Kaffeetrinker gerade eben einen Cataphile gesichtet. Paris, diese Stadt des Lichts und der Liebe, hat eine dunkle Seite. Dieses gewaltige unterirdische Areal erstreckt sich tatsächlich wie eine verwunschene Spiegelung der Stadt unter den weltberühmten Boulevards und Plätzen. Hier in der ewigen Nacht dieser Höhlen aus Menschenhand befinden sich auch die Gedärme der Metropole. Aber neben den Schächten für Métro, Kanalisation und Versorgungslinien bietet sich den Kataphilen, den Liebhabern der Pariser Unterwelt, ein Reich der Toten, das sie aus dem Licht ins Dunkel der Fantasie lockt.

Natürlich gibt es auch einen ganz offiziellen Eingang zu den Katakomben von Paris, nicht unweit der U-Bahnstation Denfert-Rochereau. Dort können Touristen 130 Stufen in die Geschichte der Stadt hinabsteigen und einen Bruchteil des rund 300 Kilometer langen Netzwerks erleben. Schließlich hat Paris wie Rom, Berlin oder New York erkannt, dass Menschen sich für den Grusel-Faktor der verkehrten Welt begeistern. Und so heißt der Zugang zu diesem subterranen Museum Barrière d`enfer“ – Schranke zur Hölle. Das unterirdische Highlight der Führung sind die Ossuaires, die Beinhäuser, in denen rund sechs Millionen Stadtbewohner eine relativ ungestörte Ruhestätte gefunden haben. Ende des 18. Jahrhunderts drohte Paris aus allen Nähten zu platzen. Ludwig XVI., nicht ahnend, dass ihm noch die Französische Revolution und seine Hinrichtung bevorstanden, befahl, alte Friedhöfe aufzulösen, um neuen Wohnraum zu schaffen. Unter den Gebeinen, die hier gelagert wurden, soll sich sogar Prominenz wie der Philosoph Blaise Pascal und die legendäre königliche Maitresse Madame de Pompadour befinden. Für Pathologen ist dieses metropole Totenhaus buchstäblich eine Fundgrube. Die Knochenjäger untersuchen, woran ihre früheren Mitbewohner gestorben sind. Und vielleicht entdecken sie bei der Spurensuche auch einen ungeklärten Mord an der Seine? Frankreich ist schließlich auch für seine Krimis berühmt.

Aber dann gibt es eben noch diese Cataphiles, die lieber auf eigene Faust erkunden und auch das Risiko nicht scheuen, sich zu verlaufen oder gar verschüttet zu werden. Alles schon vorgekommen. Deswegen gibt es auch die Cataflics, die als Eliteeinheit der Polizei einer ganz speziellen Unterwelt nachjagen. Und wenn sie Pech haben, müssen sie es mit einem Catasprinter aufnehmen. Denn die Unterwelt-Metropole hat auch ihre Variante des Stadtlaufs.

Es waren die Punks, die in den achtziger Jahren den Katakomben neues Leben eingehaucht haben. Eine Gegenwelt unter dem Pflaster der bürgerlichen Gesellschaft tat sich auf, die Raum genug zu anarchischen Festen mit ohrenbetäubender Musik bot. Seit 1955 gilt in Paris zwar ein Katakombenverbot. Aber für den französischen Geist sind Verbote da, um kreativ umgangen zu werden. In den Catacombes werden auch heute Partys und sogar schwarze Messen gefeiert, nicht nur an Halloween. Die Zeitung „Le Monde“ berichtet, dass sich samstags Schlangen vor den inoffiziellen Eingängen bilden, und geduldig auf Einlass in den Höllenschlund warten. Junge Liebende treffen sich hier zum Rendezvous mit garantiertem Schauereffekt. Und Paris wäre natürlich nicht Paris, wenn nicht wie von Insidern berichtet wird, Gourmets zum privaten Soupé mit unterirdischen Genüssen einladen.

Doch ist der Unterleib von Paris für einen wahren Katakombenenthusiasten mehr, als eine verlockend-verbotene Event-Zone. Wer Gelegenheit hatte, die verborgene Schönheit von Paris mit eigenen Augen zu erleben, berichtet von Galerien und Höhlen, deren Geruch nach Moder und historischer Luft, die faszinierende Szenerie im Schein der Lampen noch fremder und leerer wirken lässt. Inzwischen haben auch junge Künstler diesen Ort der Freiheit für sich entdeckt und die alten Wände und Räume als Leinwände genutzt. Dabei waren sie nicht die ersten Kreativen, die ihr Wirken in den Souterain der Stadt verlegt haben. Bei ihren Erkundungen stießen Archäologen immer wieder auf geheimnisvolle Bilder und Fresken, die belegen, dass Cataphiles aus früheren Jahrhunderten von der Düsternis, vom Gegensatz zum geschäftigen Treiben oben angezogen wurden.

Wer die frühe Asterix-Lektüre noch gut in Erinnerung hat, weiß, dass Paris ursprünglich während der römischen Besatzung Galliens Lutetia hieß. Die spätere Weltstadt steht auf einem Kalksteinsockel, den nicht nur die Römer abtrugen, um den Vorposten des Imperiums zu errichten. Im Lauf von 2.000 Jahren holten sich Bauherren weiter das Material aus diesem Urgrund. Das vornehm neblige Grau von Notre-Dame etwa, von der Bastille, von den aristokratischen Stadthäusern wurde aus den umliegenden Steinbrüchen gewonnen. Im Lauf der Jahrhunderte bildete sich so auch ein Labyrinth von Bergwerksgängen. Als beispielsweise die Häuser am berühmten Hügel von Montmartre verdächtige Risse zeigten, musste die Stadt in den sechziger Jahren den instabil gewordenen Unterbau auffüllen, der, so „Le Figaro“ entsetzt, damals eher einem Schweizerkäse glich. Pariser waren schon früh über diese vielen Stollen beunruhigt. Also wurde im 18. Jahrhundert die noch heute bestehende Generalinspektion dieser Steinbrüche gegründet, die auch die Beinhäuser beaufsichtigt und vor Grabräubern schützt.

Aber nicht nur Abenteurer und Künstler waren gerne zu Besuch in der Unterwelt. Brauereien und Weinhändler nutzten einst die kühlen Räume, findige Gärtner legten Champignon-Plantagen an und während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg traf sich hier die Résistance. Auch die französische Nationalbank kaufte einen Trakt und verwahrt dort – geschützt selbst vor dem findigsten Cataphile – den Goldschatz der Grande Nation. Modedesigner, die ihrem verwöhnten Publikum etwas Unerhörtes bieten wollten, haben in den letzten Jahren ihre Schauen in stillgelegte U-Bahnhöfe verlegt. Es gab sogar noch alte Häuser in Paris mit einer Tür im Keller, die wie im Märchen direkt in die Unterwelt führte. Nach und nach wurden diese Zugänge vermauert. Aber man kann ja beim nächsten Paris-Trip lange genug vor einem Gullydeckel ausharren. Vielleicht kommt ein Cataphile vorbei und führt den Gast wie der Fährmann aus den griechischen Sagen hinunter, tief ins Geheimnis von Paris.

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